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Die Kanuwelt trauert um Jörg Schmidt

von Ronald Verch

Viel zu früh ist am gestrigen Donnerstag der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele und Weltmeister von 1982 im Einercanadier über 1000 Jörg Schmidt im Alter von 61 Jahren verstorben. Mit ihm verliert die Welt des Kanusports nicht nur einen erfolgreichen Athleten, sondern die Potsdamer Kanufamilie und der Förderverein des KCP eines der engagiertesten Mitglieder!

Im Namen aller Mitglieder des Kanu Clubs Potsdam sowie des Fördervereins für den Kanu Club möchten die Mitglieder des Vorstand des Fördervereins an dieser Stelle seiner Lebensgefährtin ihr tiefstes Mitgefühl und ihr allerherzlichstes Beileid aussprechen. Er wird für immer unvergessen bleiben und seinen festen Platz im Herzen der Potsdamer Kanufamilie sicher haben!

Es folgt ein Beitrag aus der Rubrik „Was macht eigentlich?“ von Michael Meyer aus. Der Kanuspitze 09/2019

Was macht eigentlich… Jörg Schmidt?

In der über 50-jährigen Erfolgsgeschichte des Kanu-Clubs Potsdam gab es viele Athletinnen und Athleten, die in ihrer Zeit zur internationalen Paddel-Spitze zählten, sowie Trainer, die sie auf ihrem Erfolgsweg begleiteten. Inzwischen ist es oft ruhiger um sie geworden. Da taucht schon mal die Frage auf, wie es ihnen heute geht. Beispielsweise Jörg Schmidt.

Auch dreißig Jahre nach dem Ende seiner Leistungssport-Karriere kommt Jörg Schmidt immer noch drahtig daher, was der 1,91-Meter-Mann mit kräftigem Händedruck unterstreicht. „Mir geht es gut“, meint der Weltmeister von 1982 im 1000-Meter-Einercanadier, der 1988 in Seoul ebenfalls im Soloboot über den Kilometer Olympia-Silber für den damaligen Armeesportklub Vorwärts Potsdam gewann.

Ehe Schmidt seit 1984 für Potsdam das Stechpaddel schwang, hatte er schon eine kleine sportliche Odyssee hinter sich. Geboren in Berlin, zog er als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Halle, wo er 1973 für den Kanurennsport gesichtet wurde. Der Sechstklässler kam zu Turbine Halle, „wo es nur Canadierfahrer gab“, erinnert er sich an seinen Anfang unter Trainer Manfred Urlaub, bei dem er an der Rabeninsel das ABC des Paddelns erlernte. Und Jörg Schmidt entpuppte sich als Talent, so dass er nur ein Jahr später an die damalige Kinder- und Jugend-Sportschule Magdeburg wechselte, wo er unter Trainer Klaus „Colt“ Müller richtig durchstartete. 1977 wurde er DDR-Spartakiadesieger im Einercanadier über 1000 Meter. „Das war schon damals meine Paradestrecke, denn ich war und bin immer noch ein Ausdauertyp“, erklärt der inzwischen 58-Jährige, der bei diesem Triumph bereits für den SC Berlin-Grünau antrat, für den er 1979 gleich dreifacher DDR-Juniorenmeister wurde – im C1 über 500 und 1000 sowie im C2 über 1000 Meter. „Ich hatte mich damit eigentlich schon für die damaligen Weltmeisterschaften in Duisburg qualifiziert, konnte mich dann aber in der UWV (der unmittelbaren Wettkampf-Vorbereitung/d. Autor) doch nicht durchsetzen“, so Jörg Schmidt. Der auch 1980 – in seinem ersten Jahr in der Erwachsenenklasse – international zuschauen musste. „Ich fühlte mich“, sagt er, „vor der entscheidenden Olympia-Qualifikation nicht richtig trainiert, habe nach der verkorksten Quali dann so trainiert, wie ich es mir vorstellte – und wurde DDR-Meister über die 1000 Meter.“ Zu spät allerdings, so dass der Magdeburger Eckhard Leue zu Olympia nach Moskau flog, wo er Platz drei belegte.

Auch 1981 beschied Jörg Schmidt noch nicht Glanz und Gloria – anders als 1982. „Das war mein Jahr“, meint der Potsdamer rückblickend. Zunächst wurde er DDR-Meister im C1 sowohl über 500 als auch über 1000 Meter, um dann bei den Weltmeisterschaften in Belgrad nach einem Kilometer als Weltchampion über die Zielgerade zu rauschen, womit er auch seinen damaligen Trainer Manfred Winterstein überraschte. Schmidt setzte 250 Meter vor dem Ziel zum Endspurt an, überholte den bis dahin führenden Wassili Beresa aus der Sowjetunion und triumphierte schließlich vor dem Ungarn Deszö Csépai und Beresa. „Das war ein tolles Gefühl“, weiß er noch heute. „Diesen Erfolg habe ich aber erst richtig realisiert, als ich unter der Dusche stand.“

Nach einem eher mäßigen Folgejahr mit Platz 4 bei den WM in Tampere wollte Jörg Schmidt 1984 in Los Angeles um eine olympische Medaille paddeln; der Boykott des Ostblocks indes zerstörte auch seine Olympia-Träume. „Von dem Boykott erfuhr ich damals durch Gespräche anderer in der Straßenbahn auf dem Weg zum Training nach Grünau“, schildert er die damalige Situation, „die schon eine große Enttäuschung war. 1984 war eigentlich die richtige Zeit für mich. Moskau 1980 hatte ich verpasst, und ob ich es 1988 noch schaffen würde, wusste ich damals nicht.“ Die zu Olympia-Ersatzrennen erklärten Wettkämpfe der Freundschaft auf seiner Heimatstätte in Berlin-Grünau – bei denen er über 1000 Meter Zweiter hinter dem für die Sowjetunion starteten Letten Ivans Klementjew wurde – waren nur ein geringer Trost.

Dennoch bedeutete das Jahr 1984 eine Zäsur in Jörg Schmidts Leben. Nach besagten Wettkämpfen der Freundschaft nämlich heiratete er Potsdams Kanu-Königin Birgit Fischer, mit der er seit zwei Jahren liiert war, zog nach Potsdam und wechselte zum hiesigen ASK. Den Luftschiffhafen kannte er bereits aus den Jahren 1979 und 1980, als hier die 16 besten DDR-Canadierfahrer zu einem harten Konkurrenzkampf zusammengefasst worden waren. Nun trainierte Schmidt täglich bei Coach Helmut Senger auf der Havel, während er mit Birgit am Schlaatz wohnte. 1985 rauschte der Neu-Potsdamer bei den WM in Melechen als Vierter über 1000 Meter knapp an einer Medaille vorbei, im Jahr darauf brachte Birgit im Juni Sohn Ole zur Welt, ehe Papa Jörg die Weltmeisterschaften in Montreal als Ersatzmann erlebte. Nachdem er auch im Jahr darauf in Duisburg nur WM-Ersatzmann war, „habe ich nochmal die Zähne zusammengebissen und eine Schippe raufgepackt, denn 1988 war meine letzte Chance, doch noch Olympia zu erleben“, so Jörg Schmidt.

Und der junge Familienvater schaffte es nach Seoul, ebenso wie seine Frau, die nach ihrer Babypause mit zweimal Gold und einmal Silber ein erfolgreiches Comeback feierte. Jörg Schmidt selbst paddelte auf der Hangang-Regattastrecke solo über den Kilometer zu Olympiasilber hinter Ivans Klementjew, der von Anfang an vor ihm führte. „Mit meiner Platzierung war ich letztlich zufrieden. Ich hatte mir ja schon in den Jahren zuvor zahlreiche Duelle mit Klementjew geliefert, daher wusste ich, wie stark er ist“, meint Schmidt. Und: „Die Spiele in Seoul waren eine schöne Sache. Das Olympische Dorf, die perfekte Organisation und  die freundlichen Gastgeber – das war ein tolles Erlebnis.“

Nachdem er 1989 trotz seiner Ansicht nach entsprechender Leistungen nicht mehr für die WM-Flotte berücksichtigt wurde und die politische Wende viele personelle Umbrüche auch im Armeesportklub mit sich brachte, stellte Jörg Schmidt das Paddel in die Ecke, zumal sich seine nun in Kleinmachnow wohnende Familie durch die Geburt von Tochter Ulla vergrößert hatte. Der gelernte Elektromonteur und bisherige Unterleutnant der NVA begann 1990 eine Umschulung zum Einzelhandelskaufmann, schraubte und verkaufte in einem Potsdamer Fahrradladen und leitete später die Radhaus-Filiale in Spandau. Seit fünf Jahren ist Jörg Schmidt nun als Haustechniker tätig; zunächst in Teltow und seit einem Jahr in einem Ludwigsfelder Senioren-Pflegeheim. „Die Arbeit dort macht mir viel Spaß, und als einziger Mann im Team bin ich auch am Grill und im Weihnachtsmann-Kostüm gefragt“, erzählt er mit einem Schmunzeln im Gesicht.

Privat ist der in der Potsdamer Waldstadt I wohnende Endfünfziger derzeit wieder liiert, nachdem 1994 seine Ehe mit Birgit Fischer und vor drei Jahren auch eine zweite Ehe zerbrachen. Dies hat Jörg Schmidt ebenso verkraftet wie eine durch Magenkrebs notwendig gewordene Magen-Operation. „Seitdem habe ich aber einige Gleichgewichtsprobleme, so dass ich vor zehn Jahren letztmals im Einer gekniet habe“, meint er. Nichtsdestotrotz ist er in der Regel mehrmals in der Woche beim Kanu-Club im Luftschiffhafen anzutreffen. „Dienstags trainiere ich dort mit einer Sponsorentruppe des KC im Zehner-Canadier, donnerstags mit anderen früheren Paddlern im Mannschafts-Canadier“, erzählt der Ex-Weltmeister und Olympiazweite, der auch persönliches Mitglied des Fördervereins des KC Potsdam ist. „Und im Winter mache ich dort mit Gleichgesinnten viel Krafttraining.“

Kein Wunder also, dass Jörg Schmidt dreißig Jahre nach dem Ende seiner Leistungssport-Karriere immer noch athletisch daherkommt.

Text: Michael Meyer

Fotos: privat, Michael Meyer

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